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Michael F. Zimmermann: Nach-Denk-Bilder
Nach-Denk-Bilder
(S. 173 – 214)

Robert Delaunays Blick auf die Sonne und die Bewegung der Wahrnehmung

Michael F. Zimmermann

Nach-Denk-Bilder
Robert Delaunays Blick auf die Sonne und die Bewegung der Wahrnehmung

PDF, 42 Seiten

Michael F. Zimmermann zeigt in seinem Beitrag, dass man Robert Delaunays Arbeit an den formes circulaires durchaus als Paradigma sehen kann, in derdie Funktionsweise der Wahrnehmung, wie Bergson sie versteht, anschaulich wird, als Interferenz von gegenwärtigem und vergangenem, von aktuellem und virtuellem Bild. In den scheibenförmigen Arbeiten der Jahre 1912–13 verdichten sich der Anblick der Sonne und ihr retinales Nachbild zu einer vibrierenden Formation. In ihr hallen nicht nur diverse Motive aus dem Werk Delaunays nach, sondern auch der Farbenkreis, jenes farbtheoretische Diagramm, das – erstmals von Newton verwandt – den Ganzheitsanspruch zahlreicher Farblehren symbolisiert. In der motivischen Korrespondenz von Sonne/ Nachbild/Farbenkreis wird der Versuch des Künstlers deutlich, die Wahrnehmung selbst zu aktivieren. Denn der gezielte Einsatz des Simultankontrasts, wie ihn Chevreul in seiner Lehre publiziert hatte, verhindert eine endgültige Fixierung des Gesehenen. Stattdessen werden über die verschiedenen Kontrastwirkungen scheinbare Bewegungen erzeugt, bei denen die Wahrnehmung sich selbst in ihren Rhythmen und dynamischen Kräften erfährt. Die schon von den Farbenlehren des 19. Jahrhunderts favorisierte Form des Kreisdiagramms liefert dabei das Grundmuster eines Übergangs vom Kreis zum Kreisen, bei dem man nicht zuletzt an die experimentelle Konstruktion von Farbkreiseln etwa bei Goethe denken mag.

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Michael F. Zimmermann

studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte in Köln, Rom und Paris. 1985–1990 war er wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin und 1990–91 am deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz, von 1991 bis 2002 Zweiter Direktor am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und 2002–2004 ordentlicher Professor für Kunstgeschichte der Neuzeit und der Gegenwart an der Université de Lausanne. Seither ist er Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bildkünste des 19. und 20. Jahrhunderts, die Fachgeschichte und Kunstphilosophie.

Weitere Texte von Michael F. Zimmermann bei diaphanes
Werner Busch (Hg.), Carolin Meister (Hg.): Nachbilder

Nachbilder sind optische Phänomene, mit denen das ­Sehen sich selbst in den Blick nimmt. Seit der Empirismus im 18. Jahrhundert die Subjektivität der Wahrnehmung erschloss, traktierten Wissenschaftler, Künstler und Philosophen ihre Augen, um sie nicht als Empfänger, sondern als Erzeuger von Licht- und Farbphänomenen zu erfahren. Als im buchstäblichen Sinne verkörperte Bilder verschwanden diese ephemeren Erscheinungen mit den Wahrnehmungsorganen, die sie hervorgebracht hatten. Welche Bildkonzepte aber tauchen mit der Entdeckung der visionären Möglichkeiten des Sehens auf?

Wie Goethes Farbenlehre es für das 19. Jahrhundert prominent formuliert, bricht im Nachbild die Differenz von innerer und äußerer Sensation zusammen. Was impliziert dieser Zusammenbruch für die künstlerische wie wissenschaftliche Erfassung der Natur? Ist die Wahrheit in der Malerei noch ohne die Aufzeichnung jener flüchtigen Phänomene zu haben, die der Wahrnehmungsapparat in die Welt projiziert? Der Band versammelt Beiträge, die die physiologische Frage nach dem Sehen mit der produktionsästhetischen Frage nach dem Bild verknüpfen. Die bildgeschichtliche Relevanz der Eigenaktivität des Auges rückt nicht zuletzt anlässlich der Wiederkehr des Nachbilds in der neueren Kunst in den Fokus.

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