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»Körper in Ausdehnung, zum Bersten gespannt«

Beginnen wir damit, einen langen Abschnitt aus dem Brief zu l­esen, den Descartes am 28. Juni 1643 an Elisabeth schreibt und der wahrscheinlich den wichtigsten Text zum Thema der Erkenntnis der Einheit von Körper und Seele darstellt:


Die metaphysischen Gedanken, die das reine Begriffsvermögen üben, dienen dazu, uns den Begriff der Seele vertraut zu machen; das Studium der Mathematik, das hauptsächlich die Vorstellungskraft in der Betrachtung der Gestalten und Bewegungen übt, gewöhnt uns daran, sehr deutliche Begriffe vom Körper zu bilden; und indem man schließlich nur das Leben und die alltäglichen Gespräche benutzt und sich des Nachdenkens und des Studiums von Dingen enthält, die die Vorstellungskraft üben, lernt man die Vereinigung von Seele und Körper begreifen.


Ich befürchte fast, daß Eure Hoheit denkt, ich spräche hier nicht ernsthaft; das würde aber der Ehrerbietung widersprechen, die ich ihr schulde und die ich ihr zu erweisen niemals verfehlen werde. Und ich kann wahrhaftig sagen, daß die Hauptregel, die ich immer in meinen Studien beobachtet habe und der ich mich, wie ich glaube, am meisten bediente, um irgendeine Kenntnis zu erwerben, die gewesen ist, immer nur sehr wenige Stunden täglich auf die Gedanken zu verwenden, die die Vorstellungskraft beschäftigen, und sehr wenige Stunden jährlich auf die, die das reine Begriffsvermögen beschäftigen, und daß ich meine gesamte übrige Zeit der Erholung der Sinne und der Ruhe des Geistes widmete; ich rechne zu den Übungen der Vorstellungskraft sogar alle ernsthaften Gespräche und alles, wofür man Aufmerksamkeit haben muß. Das hat mich veranlaßt, mich aufs Land zurückzuziehen; denn obgleich ich in der geschäftigsten Stadt der Welt ebenso viel Stunden für mich haben könnte, wie ich jetzt auf das Studium verwende, so könnte ich sie dort indessen nicht so nützlich verwenden, da mein Geist durch die Aufmerksamkeit ermüdet sein würde, die die Plackerei des Lebens erfordert. Ich nehme mir die Freiheit, dies Eurer Hoheit hier zu schreiben, um ihr zu bezeigen, daß ich wirklich bewundere, wie sie unter den Geschäften und Sorgen, die den Personen von zugleich hervorragendem Geist und hoher Geburt niemals fehlen, den Betrachtungen hat nachgehen können, die erforderlich sind, um den zwischen Seele und Körper bestehenden Unter­schied richtig zu erkennen.


Ich habe dafür gehalten, daß es eher diese Betrachtungen als die weniger Aufmerksamkeit erfordernden Gedanken waren, die sie in dem Begriff, den wir von ihrer Vereinigung besitzen, haben Dunkelheit finden lassen, da nach meiner Meinung der menschliche Geist nicht fähig ist, sehr deutlich und zu gleicher Zeit...

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Jean-Luc Nancy

Jean-Luc Nancy

(1940–2021) gilt als einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne. Sein vielfältiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns und zu den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen.

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Ausdehnung der Seele
Texte zu Körper, Kunst und Tanz

Übersetzt von Miriam Fischer

Broschur, 112 Seiten

Der Band vereint verstreute Texte, in denen Jean-Luc Nancy sich mit dem Themenfeld von Körper und Leib beschäftigt. Mal fragmentarisch verdichtet, mal in genauen philosophischen Lektüren und Beobachtungen betrachtet er den Körper aus dem Blickwinkel der sexuellen Lust oder des Medizinischen, in seiner Grenzfunktion zwischen Innen und Außen, dann liest er René Descartes über das Verhältnis zwischen Körper, Geist und Seele oder stellt Überlegungen zur ästhetischen Lust »am Rande der Funktion ›Kunst‹« an. Immer wieder aber steht der Tanz im Zentrum, als Trennung und Loslösung, als Geburt des Körpers und des Sinns, als unablässige Entwicklung, »Körper, Markstrang, um eine Leere gekrümmt, Embryo, über nichts gebeugt, eingewickelt, sich entwickelnd«. Der tanzende Körper ist ein Körper, der sich von sich trennt, um zu sich zu finden, der seine Form verlässt, um eine neue einzugehen, der einen Ort aufgibt, um einen anderen einzunehmen.