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Was ist eine Mutter? Was ein Vater? Was Familie?

Barbara Vinken

Geistige Mütter
Almodovars Madres Paralelas

Veröffentlicht am 07.06.2023

Ton sang inonde la terre d'Espagne, ô Federico

(Jean Ferrat, “Federico Garcia Lorca”, 1960)


Was ist eine Mutter? Was ein Vater? Was Familie? Zu Zeiten von Gentests kann man darauf eindeutige Antworten geben. Die Zurechenbarkeit von Ei-und Samenzellen macht Mütter und Väter aus. Das ist völlig neu. Der Vater, semper incertus, hatte eine symbolische Dimension. Nicht die Geburt, sondern erst das Aufheben des Kindes durch den Vater macht es im römischen Recht zum Teil der Familie. Die Natur, hat man gesagt, habe es klug so eingerichtet, dass die Kinder immer dem Vater glichen, weil das ihre Lebenschancen erhöhe. Langezeit galt juristisch der Ehemann als der Vater eines in der Ehe geborenen und damit legitimen Kindes, auch wenn er offensichtlich nicht der biologische Vater war. Schon in Madame de La­­­­fayettes Princesse de Clèves gleichen nur die natürlichen Kinder, Bastarde, dem König Heinrich II. Seine legitimen Kinder, die Thronfolger Frankreichs, hatte seine Frau Catherine de Medicis zwar in der Ehe geboren, der leibliche Vater war aber offensichtlich nicht Heinrich II. Auch die „Kinder der Liebe“, wie es im Französischen so schön heißt, also die Kinder des Liebhabers, die nicht mit dem Ehemann gezeugt, aber in der Ehe empfangen wurden, galten juristisch als Kinder des Ehemannes. Deswegen wurde alles Menschenmögliche unternommen, dass die Vaterschaft des Ehemannes zumindest theoretisch möglich war. Um die Ehe zu schützen, verfügte der Code Napoléon sogar: „La recherche de la paternité est interdite“. (Code civil des français, S. 84). Wenn eine unverheiratete Frau von einem anders verheirateten Mann geschwängert wurde, war der für Unterhaltsgeld nicht belangbar.


Aber auch die Mutter galt nicht als rein biologische Größe. Neben die biologischen Mütter gab es die geistigen Mütter; geistige Mütterlichkeit war im Hochmittelalter die höchste Tugend. Vorbild war Jesus als Mutter, denn sterbend hatte er uns aus seiner Seitenwunde zum Leben geboren (Caroline Walker Bynum). Schon Maria selbst empfing mit dem Herzen, ehe sie im Fleisch empfing. Die Äbtissin Héloise war zwar auch leibliche Mutter eines Sohnes, aber als geistige Mutter ihrer geistigen Töchter, der Nonnen, war sie, wie ihr ehemaliger Liebhaber im Fleische, der Philosoph und Mönch Abélard hervorhob, noch unendlich fruchtbarer. Auch Männer konnten geistige Mütter werden wie der Abt Bernard von Clairvaux, der die geistige Mutter seiner Mönche war.


Manchmal fielen leibliche und geistige Mutterschaft in derselben Frau zusammen. Das...

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Barbara Vinken

Barbara Vinken

Dr. phil. habil. (Konstanz/ Jena), Ph. D. (Yale), seit 2004 Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, zuvor romanistische Lehrstühle in Hamburg und Zürich. Gastprofessorin u.a. HU und FU Berlin, EHESS Paris, NYU New York, Johns Hopkins und University of Chicago. Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und Verdienstorden Pro meritis scientiae et litterarum des Landes Bayern. Bücher: »Bel Ami« (2020); »Die Blumen der Mode: Klassische und neue Texte zur Philosophie der Mode« (2016), »Flaubert: Durchkreuzte Moderne« (2009, engl. 2015), »Angezogen: Das Geheimnis der Mode« (2013), »Bestien: Kleist und die Deutschen« (2011); »Du Bellay und Petrarca« (2001), »Die deutsche Mutter« (2001, 2007); »Mode nach der Mode√ (1993, engl. 2006); »Unentrinnbare Neugier« (1991). Außer Beiträgen zum Fach (13 Editionen, 300 Aufsätze), Medien-Präsenz in Vorträgen und Interviews, regelmäßige Beiträge für ZEIT, SZ, WELT, NZZ. Gast der Talkrunde Buchzeit in 3SAT. Weitere Informationen: http://www.barbaravinken.de/

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