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Der conditor der Stadt, ein Hurensohn?

Sina Dell’Anno

Roms Mütter

Veröffentlicht am 09.06.2023


Denar des Augustus mit Darstellung der Venus Genetrix.



Schemenhaft und derart abgegriffen, dass sich ihr Bild dem Begreifen beinahe entzieht – so zeigt sich auf dieser Münze die Stammmutter der Römer. Wir sehen, sollen sehen: Venus Genetrix, die ›Gebärerin‹, Mutter des Aeneas – von Iulius Caesar, dessen Familie sich auf Aeneas’ Sohn Iulus zurückführte, zur staatstragenden Gottheit erhoben. Geprägt wurde die Münze unter dessen Nachfolger Octavian/Augustus, der inschriftlich links und rechts neben der Frauenfigur firmiert als CAESAR DIVI F[ILIUS], Sohn des vergöttlichten Iulius Caesar. Mehr als nur ein materieller Wertträger, gibt Geld Unschätzbares: Es gibt geltende Genealogie. In bis dahin ungekannter Weise benutzten die berühmtesten der Julier, Caesar und Augustus, ihre mythische Abstammung von Venus zur Festigung ihres Machtanspruchs. Der Übergang zum Prinzipat ist ohne die Schlüsselrolle der göttlichen Übermutter kaum denkbar. Augenzwinkernd bringt Ovid dieses Verhängnis zum Ausdruck, wenn er in seinen Amores, gegen die Abtreibung polemisierend, die Frage aufwirft, was geschehen wäre, hätte die schwangere Venus Hand an das Kind in ihrem Bauch gelegt und die Welt damit ihrer zukünftigen Caesaren beraubt (Ov. Am. 2,17–18: si Venus Aenean gravida temerasset in alvo,/ Caesaribus tellus orba futura fuit). So wörtlich wie hier bei Ovid wurde das Epitheton der ›Gebärerin‹ (Genetrix) selten genommen. Gerade deshalb ist das Gedankenexperiment bemerkenswert, weil Venus – ihrem späteren Ehrentitel zum Trotz – in der kollektiven Imagination kaum je als Schwangere figuriert. Ihre Mutterschaft ist vielmehr eine abstrakte, von Austragung und Geburt gleichsam bereinigte.

Wie wenig die Mutterrolle zur Liebesgöttin passen wollte, lässt sich auch dem verblassenden Bild auf der Münze ablesen: Ausgestattet mit den Attributen des Krieges, mit Schild, Speer und Helm, erscheint Venus hier als jene unnahbare, waffentragende Jungfrau (virgo), als die sie auch in Vergils Aeneis ihren ersten Auftritt hat. Inkognito begegnet sie dort ihrem Sohn Aeneas, den es soeben nach Karthago verschlagen hat, als streng-mahnende Wegweiserin, die sich erst im Abgang – unwillkürlich – buchstäblich als seine Mutter entblößt (Verg. Aen. 1,402–408):


dixit, et avertens rosea cervice refulsit,
ambrosiaeque comae divinum vertice odorem
spiravere, pedes vestis defluxit ad imos,
et vera incessu patuit dea. ille ubi matrem
agnovit, tali fugientem est voce secutus:
»quid natum totiens, crudelis tu quoque, falsis
ludis imaginibus?«

So sprach sie und wandte sich um; da erglänzte rosig ihr Nacken und ihre ambrosischen Locken verströmten vom Scheitel göttlichen Duft. Bis zu den Füßen hinunter fiel ihr...

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Sina Dell’Anno

Sina Dell’Anno

lebt, liest, schreibt und unterrichtet in Basel. Als Literaturwissenschaftlerin bewegt sie sich seit längerem sprunghaft zwischen Antike und Moderne. Sie ist Mitherausgeberin des online-Journals Bildbruch – Beobachtungen an Metaphern. Erschienen oder im Erscheinen sind unter anderem Texte zu Arno Schmidt, Jean Paul, Johann Georg Hamann, zur Romantheorie im 18. Jahrhundert und zur verfressenen Poetik der satura.