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Das Schöne, Mensch, ist das nicht objektiv?

Ann Cotten

Dialoge

Veröffentlicht am 07.07.2017

— Inwiefern bist du Kommunistin – da wir das definieren ­müssen: jemand, die überzeugt ist, dass eine von Grund auf andere Orga­nisationsform des gemeinschaftlichen Lebens den Menschen gut­tun würde, –


— Moment, ist das nicht auch ein Monarchist oder ein Sektenführer?


— Mit Fokus auf Gerechtigkeit.


— Aber die Leute sollen anders sein, ja?


— Total anders.


— Bist du nicht einfach Misanthropin?


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— Nein, weil es gibt Leute, die ich sehr mag, und ich verstehe deswegen nicht, warum die meisten so dumm, oarsch und nervig sind.


— Die meisten Leute stört das nicht so sehr wie dich, wie die anderen sind.


— Ach ja? In meiner Beobachtung stört die meisten Leute alles, was anders ist als sie. Deswegen braucht es Regeln, wie man sich anständig verhält gegenüber Leuten, die man zum Großteil nicht mag.


— Du hast gerade sehr gelitten in einem Zugabteil mit zwei jungen Großmüttern, die miteinander ins Gespräch gekommen sind, während du »arbeiten« wolltest. Und »arbeiten« heißt: großkotzige Texte über die Weltordnung verfassen, für ein imaginäres Publikum. Ernst nehmen dich nur andere Wichtigtuer, die sich Reziprozität erhoffen.


— Das Schöne, Mensch, ist das nicht objektiv? Volker Braun, die Liebe? Und mit Stricken und diplomatischem Plaudern über Kleinkindererziehung ist noch keine Weltordnung verändert worden.


— Mit Aufsätzen auch nicht. Genaugenommen ist noch nie eine Weltordnung vollständig verändert worden. Die Ansätze wurden abgebrochen.


— Die Menschen sind noch nicht ausgerottet, ja.


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Du willst der Welt eine Vernunft und Schönheit aufzwingen, die sie nicht verdient, die wenig mit ihr zu tun hat, –


— Viel!


— Das ist lächerlich, weil du sowieso nicht einmal einen Ansatz von Macht dazu hast. Und es ist daneben, du hast nicht die Mehrheit.


— So denken all diese Idioten, die einander die ganze Zeit beim Idiotischsein zukucken und sich denken, was für schlimme, obszöne, unangenehme Verhaltensweisen! Aber anstatt zu mauzen oder zu streiken oder zu kritisieren passen sie sich an, am nächsten Tag führen sie die selbe Phrase im Mund.


— Ich dachte, das Wort »Widerstand« verursacht dir dry heaves?


— Ja, das ist aber nur historisch bedingt. Ich assoziiere es mit Deklarationspolitisierung. Du kannst außerdem nicht einfach die französische résistence ins Deutsche übersetzen.


— Das sagt mehr über deine Sozialisierung aus.


— Inhaltlich ist es basic. Es genügt halt nicht, aber wenn du nicht aktivistisch veranlagt bist, liegt es nahe. Besser nur Widerstand als gar nichts. Es ist eine massentaugliche vorläufige Empfehlung. Jeder kann mitmachen, nicht nur die Mutigen. Das meine ich als gute Eigenschaft. Man soll nicht von Leuten Sachen verlangen, die sie nicht schaffen.


— Was hältst du von »Mobilisierung«?


— Das ist sicher spaßiger, aber man muss seinen Beruf aufgeben.


— Das wäre ja ein Anfang.


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— Du denkst immer, wie könnte alles ganz anders sein. Das ist doch auch nicht Politik, das ist doch Fernweh, oder »moi–c’est un autre«, deine ewige Unzufriedenheit, nur weil du als Frau geboren wurdest. Du musst lernen, mit Frustration umzugehen, Dinge, die du nicht ändern kannst, zu akzeptieren. Sonst erzeugst du diese permanente Temporärheit, die dich an dir so nervt.


— Und wenn ich diese Dinge akzeptiere, dann gesunde ich zur Anhängerin der sozialen Marktwirtschaft, oder wie?


— Zur Anhängerin von allem, was der Fall ist.


— Geh leck mich.


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— Das wäre ja das Modell der universalen Opportunistin, das du mir vorschlägst, nicht?


— Der letztendlichen Philosophin. Der Zen-Queen.


— Mit 80, ja?


— Und bis dahin hast du vor, in Unzufriedenheit zu leben, ja?


— Warum glaubst du, schreibe ich einen Dialog zwischen dir und mir?


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— Ich muss gleichzeitig Revolutionärin und Zen-Queen sein. Man braucht diese Ruhe als Feldherr. Dass dir in tiefster Seele alles wurscht ist, und du liebst nur die Nacht.


— Du wirst nie Feldherrin sein. Kein Funke Strategie in dir. Du bist ein Schlachtross. Ein Wildschwein. Das beinahe absichtlich gegen Beton rennt, aus Angst, am Weg könnte es wohin kommen, wo es dann doch nicht besser ist.


— Ich finde übrigens, es schadet überhaupt nicht, dass ich Misanthropin bin. Ich will ein System, wo ich die Leute nicht mögen muss, um anständig zu ihnen zu sein. Genau wie in dem Abteil. Ich habe gelitten, aber auch aufgehorcht. Gelauscht, wie sie sind, wie sie leben. Wenn dann noch die Welt so wäre, dass wir nicht so viel Blödsinn im Kopf hätten, wäre das Gespräch auch interessanter gewesen. Ich hätte übrigens nichts beizutragen gewusst. Aber es war gut, dass ich gezwungen wurde, mit ihnen das Abteil zu teilen. Freiwillig hätte ich mich nie dazugesetzt.


— Weil du das Schriftstellerleben als künstlich und weltfern empfindest. Da bist du schon auch selbst schuld in deiner Verquastheit.


— Weil alles, was mich bewegt, die beiden überhaupt gar nicht verstehen würden. Nicht, dass ich es nicht erklären könnte, aber sie würden ebensowenig wie du jetzt meine ­Differenzierung verstehen. Warum ich das eine so hasse, das andere so liebe, wo sie einfach relativ gleichmütig stricken und Toleranz üben, auch wenn sie die ganze Zeit sanft mit ihren Meinungen das Zimmer markieren.


— Warum musst du immer so unangenehm sein? Du bist die ärgste Chauvinistin, nämlich mit wechselnden Inhalten. Fast pathologisch. Du nimmst vor allem die rohe Situation wahr, dass sie in das vorher ruhige, leere Abteil kommt und sofort zu quatschen beginnt, das nimmst du als eine Art Aggression wahr, und es ist nicht ganz falsch. Aber wie du weißt, kann Aggression auch was Produktives sein. Was die beiden Frauen alles ausgetauscht haben, und was du gelernt hast über ­solche Leute! So sollten sich Leute immer beneh–


— sollten was?




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— Können wir uns darauf einigen, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem guten System und gutem Benehmen? Ich bin Kommunistin als Systemtheoretikerin (und Systemtheoretikerin in dem Maß, wie wir das alle sind). Gutes Benehmen ist in jedem System nötig, Verhandlungssache. Kann man sagen Liberale Kommunistin?


— Gibt es nicht genug andere Wörter, die nicht so vorbelastet sind?


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  • Dialektik
  • Kommunismus

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Ann Cotten

Ann Cotten

wurde 1982 in Iowa (USA) geboren und ist Autorin mehrerer Bücher. Sie lebt und arbeitet in Wien und Berlin.
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